Sept. 2025 | Insights

Regulatorischer Druck, volatile Märkte und neue Risikotypen stellen klassische Scoring-Modelle zunehmend infrage. Viele Modelle sind nicht transparent, technologisch veraltet und unterschätzen Risiken – besonders bei unauffälligen Profilen. Moderne Risikosteuerung braucht heute erklärbare, datenstarke und auditierbare Modelle, die sich flexibel in bestehende Systeme integrieren lassen und entlang der gesamten Customer Journey wirken. Scoring wird zum strategischen Hebel für fundierte Entscheidungen und nachhaltiges Wachstum.

Die neue Realität im Risikomanagement

Risikomanagement steht heute unter erheblichem Druck. Neue regulatorische Anforderungen wie Basel IV, CRR3, EU AI Act, CDD II, DORA und digitale Resilienz oder ESG-Offenlegungspflichten treffen auf ein zunehmend komplexes Marktumfeld: geopolitische Unsicherheiten, volatile Märkte, Cyberrisiken und sich wandelndes Konsumentenverhalten fordern etablierte Prozesse heraus. Entscheidungen müssen schneller, fundierter und regulatorisch belastbar getroffen werden – bei gleichzeitigem Innovationsdruck. Gleichzeitig erwarten Kund:innen eine reibungslose, sichere und personalisierte Customer Experience – vom Onboarding bis zur Betreuung im Bestand.

Klassische Scoring-Modelle unter Druck

Viele der heute eingesetzten Scoring-Modelle stammen aus einer Zeit, in der Daten weniger granular, Risiken weniger dynamisch und regulatorische Anforderungen weniger komplex waren. Sie basieren oft auf starren Regelwerken, nutzen begrenzte Datenquellen und liefern Ergebnisse, die schwer nachvollziehbar sind – eine Black Box, die weder dem internen Kontrollsystem noch externen Prüfern genügt.

Besonders problematisch: Die Trennschärfe dieser Modelle stößt bei bislang unauffälligen Profilen an ihre Grenzen. Gerade dort, wo Frühindikatoren entscheidend wären – etwa zur frühzeitigen Identifikation potenzieller Zahlungsausfälle oder zur gezielten Kundenansprache – bleiben klassische Scores oft stumm.

Einige interne Analysen von Finanzinstituten deuten darauf hin, dass bestehende Scoring-Modelle in bestimmten Fällen Risiken unterschätzen können – etwa aufgrund fehlender Daten zu weichen Negativmerkmalen oder zu grober Segmentierung. Eine differenziertere Betrachtung könnte helfen, solche Fälle frühzeitig zu erkennen und potenzielle Ausfälle sowie Reputationsrisiken zu reduzieren. 

Regulatorische Anforderungen an moderne Risikomodelle

Scoring-Modelle stehen 2025 im Fokus der BaFin und anderer Aufsichtsbehörden – insbesondere im Hinblick auf Governance, Fairness und Datenqualität.

Die regulatorischen Anforderungen haben sich deutlich verschärft: Transparenz, Nachvollziehbarkeit und Auditierbarkeit gelten heute als Standard. Modelle müssen nicht nur leistungsfähig, sondern auch erklärbar sein – Stichwort Explainable AI (XAI). Die Europäische Bankenaufsicht (EBA) fordert nachvollziehbare Entscheidungsprozesse, insbesondere bei automatisierten Verfahren.

Gleichzeitig steigen die Erwartungen an Datenqualität, Datenherkunft (Data Lineage) und Modellvalidierung – auch, um eine konsistente und zugleich regulatorisch konforme Customer Journey zu gewährleisten.

Wer heute ein Scoring-Modell einsetzt, muss es nicht nur verstehen, sondern auch gegenüber Vorstand, Prüfern und Aufsichtsbehörden überzeugend erklären können.

Der blinde Fleck: Warum viele Modelle nicht mehr ausreichen

Ein zentrales Problem vieler Modelle ist ihre eingeschränkte Datenbasis. Frühindikatoren wie vorgerichtliche Negativmerkmale – also Hinweise auf Zahlungsausfallrisiken, bevor es zu gerichtlichen Maßnahmen kommt – fehlen häufig. Auch neue Risikotypen wie Cyberrisiken, Klimarisiken oder Verhaltensmuster in Echtzeit – etwa bei sich verändernden Konsum- oder Kommunikationsmustern – lassen sich mit klassischen Modellen kaum abbilden.

Hinzu kommt: Viele Systeme sind technologisch nicht mehr auf dem neuesten Stand, fragmentiert oder nur schwer integrierbar. Das erschwert nicht nur die Modellpflege, sondern auch die Umsetzung regulatorischer Anforderungen.

Weitere Herausforderungen im Alltag vieler Risikoteams:

  • Datenqualität und Systembrüche: Inkonsistente oder unvollständige Daten erschweren fundierte Analysen und führen zu Unsicherheiten in der Entscheidungsfindung.
  • Ressourcenengpässe: Der Mangel an qualifizierten Risikoanalysten und Datenexperten verzögert Modellpflege und Innovation.
  • Regulatorische Komplexität: Neue Anforderungen wie ESG-Reporting, DORA oder CRR3 binden Kapazitäten und erhöhen den Dokumentationsaufwand.
  • Kommunikationsrisiken: Komplexe Modelle lassen sich intern wie extern oft nur schwer erklären – ein Risiko für Akzeptanz und Auditierbarkeit.
  • Technologische Trägheit: Legacy-Systeme und fehlende Schnittstellen verhindern die Integration moderner Scoring-Ansätze.

Ausblick: Was moderne Risikosteuerung heute braucht

Die Anforderungen an Scoring-Modelle haben sich grundlegend verändert. Gefragt sind heute Lösungen, die:

  • Frühzeitig Risiken erkennen, auch bei bislang unauffälligen Profilen
  • Transparente, erklärbare Entscheidungen ermöglichen
  • Regulatorisch konform und auditierbar sind
  • Nahtlos in bestehende Systeme integrierbar bleiben
  • Dynamisch auf neue Daten und Verhaltensmuster reagieren können

Scoring ist längst kein technisches Detail mehr – es ist ein strategisches Steuerungsinstrument entlang der gesamten Customer Journey: vom Onboarding über Wachstum bis hin zur Risikobehandlung im Delinquency-Fall.

Autorin
Marion Lanaro
Senior Sales Manager
marion.lanaro@experian.com